Das Artensterben ist überall: in den Tropen, aber auch in den gemäßigten Zonen und in Deutschland. Wie viele Tiere und Pflanzen für immer verschwinden, weiß niemand. Der Bonner Professor Dr. J. Wolfgang Wägele entwickelt mit einem Forscherteam und modernster Technik eine Anlage, um Tierarten zu erfassen und somit zu schützen. // Von Daniela Gebara
Zum Auftakt der Ringvorlesung Technik- und Umweltethik spricht der Zoologe Wägele über die Bedeutung neuer Technologien für die Erfassung von Artenvielfalt und stellt das Projekt „Die Wetterstation für Artenvielfalt“ vor. Sie sammelt wie eine echte Wetterstation Informationen zum Klima, erfasst aber darüber hinaus auch Daten, die Aufschluss über Flora und Fauna vor Ort geben. Dies sei notwendig, um dem Aussterben vorzubeugen: Nur wenn bekannt ist, welche Tiere und Pflanzen in einem Ökosystem existieren, können sie wirkungsvoll geschützt werden.
Artenerfassung per DNA-Codes
AMMOD heißt das System, das übersetzt „Automatisierte Multisensorstationen zur Überwachung von Artenvielfalt“ bedeutet. Diese Stationen sollen in der Landschaft verteilt Klimadaten erfassen, Insekten und Pollen sammeln, Gerüche und Geräusche aufnehmen und alle Daten ins Labor übertragen. Im Labor werden die Proben gelesen und als DNA-Barcodes gespeichert. Diese Informationen fließen in das GBOL-Projekt ein, ein deutsches Projekt zur Erfassung der Artenvielfalt (German Barcode of Life), In einem Webportal werden die Ergebnisse aufgelistet und mit bereits vorliegenden DNA-Proben verglichen. Noch ist die Entwicklung der Wetterstation in der Entwicklungsphase, aber die Leibnitz Gemeinschaft, Fraunhofer Institute, Universitäten und das Bundesministerium für Bildung und Forschung arbeiten gemeinsam an dem Projekt. Das Bundesministerium fördert das Projekt mit fünf Millionen Euro.
Interview mit Prof. Dr. J. Wolfgang Wägele
Die Biodiversität ist in Gefahr
Die gemeinsamen Anstrengungen für den Artenschutz sind verständlich, wenn man bedenkt, dass Biodiversität über Jahrmillionen entsteht. Bis zu fünf Millionen Jahren dauert es, bis sich eine neue Tierart entwickelt, sagt Wägele. In der Erdgeschichte hätte es bereits mehrere Phasen mit massivem Artensterben gegeben; die allesamt von Umweltkatastrophen wie Vulkanausbrüchen oder Klimaveränderungen ausgelöst worden wären. Bislang habe es fünf solcher Episoden gegeben, die letzte sei das Aussterben der Dinosaurier gewesen. „Wir leben heute in der sechsten Biodiversitätskrise“, ist Wägele überzeugt.
Landnutzung führt zu „schweigenden Landschaften“
Heute ist nicht die Natur schuld: „Das Aussterben von Tieren ist menschengemacht“ sagt Wägele. Mit dem Zeitalter der Industrialisierung habe der massive Eingriff in die Natur angefangen; menschlicher Egoismus und Leichtsinn hätten seitdem viel zerstört. Verschmutzung von Gewässern und Feldern, Vergiftung von Landschaften, Kriminalität und Tierhandel sowie die Zerstörung von Wäldern verstärkten den Rückgang der Artenvielfalt. Wägele macht darauf aufmerksam, dass sich dieser Prozess nicht nur in Ländern der Dritten Welt abspiele, sondern auch bei uns. „Denken Sie an die Landnutzung: Die Verbauung von Land durch Autobahnen und der intensive Anbau von Energiepflanzen zerstören Lebensräume und die davon abhängigen Arten.“ So entstünden „schweigende Landschaften“.
Die Öffentlichkeit muss sensibilisiert werden
Für Wägele liegt das größte Problem darin, dass Fakten fehlen, um die Öffentlichkeit und insbesondere die Politik von der dramatischen Entwicklung zu überzeugen. Zurzeit gebe es kein Monitoring, keine Langzeitbeobachtung der Artenvielfalt, so Wägele. Das führe dazu, dass es keine Statistiken gibt, die den Rückgang der Biodiversität belegen. „Wir haben bereits viel untersucht, viele Stichproben genommen und viel beobachtet, aber bislang sind alles nur Hinweise und Schätzungen, keine exakten Zahlen“, sagt der Zoologe. Die Wetterstation mit der neuen Technik könnte hier zu einem Durchbruch verhelfen.
Forscher entwickeln einen Prototyp
Zurzeit arbeiten die Forscher an einem Prototypen für die neue Wetterstation. Einigkeit herrscht bereits über die Auswahl an Messinstrumenten, aber die technische Umsetzung ist noch nicht abgeschlossen. Details, wie Batterielaufzeiten und Datenspeicherung, müssen noch optimiert und die Produktionskosten gesenkt werden. Nach einer Testphase von zehn Jahren wäre das System ausreichend erprobt, schätzt Wägele die Entwicklungszeit ein. Dann soll die Wetterstation für Artenvielfalt großflächig eingesetzt werden.
Biodiversität: Oberbegriff für Artenvielfalt, genetische Vielfalt und Vielfalt von Biotopen
Weiterführende Links zum Vortag
Informationen über Prof. Dr. Wägele
Prof. Dr. Wolfgang Wägele ist Direktor des Museum Koenig und ist Inhaber des Lehrstuhls für „Spezielle Zoologie“ an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Eine ausführliche Übersicht zu den Aufgabenbereichen, Forschungsinteressen und aktuellen Projekten ist auf der Internetpräsenz des Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig zu finden.
Erklärung des Projekts „German Barcode of Life“
Im Rahmen des Projektes „German Barcode of Life“ sammeln Biologen genetische Fingerabdrücke und Belegexemplare aller Lebewesen in Deutschland. Damit soll eine vollständige Übersicht aller Lebensformen erstellt werden. Mehr Informationen gibt es auf der Internetseite für Forschung für Nachhaltige Entwicklung (FONA).
Internetauftritt des Projekts „German Barcode of Life“
Lebewesen haben verschiedene und einzigartige DNA-Barcodes. Durch die Katalogisierung dieser Barcodes wird eine riesige DNA-Datenbank erstellt. Wie das funktioniert, wird auf der Internetseite zum Projekt „German Barcode of Life“ erklärt.
Artikel in „Spektrum“ über biologische Vielfalt
Millionen von Lebewesen sind uns unbekannt, obwohl wir mit ihnen auf demselben Planeten leben. Durch neue Technologien soll den Wissenschaftlern geholfen werden Artenvielfalt leichter zu katalogisieren. Zahlreiche Erklärungen rund um das Thema „biologische Vielfalt“ finden sich in der Zeitschrift „Spektrum“.
Meilenstein in der Erfassung der Artenvielfalt
Die Katalogisierung von Lebewesen ist kompliziert und zeitaufwendig. Eine neue Art muss sich von bereits beschriebenen Arten eindeutig unterscheiden. Dennoch beschrieben Wissenschaftler des Museum Koenig über tausend neue Arten in den letzten zehn Jahren.
Daniela Gebara // Bilder: Alexandra Burger // Videointerview: Rebecca Barth, Larissa Weber // Links: Tom Eric Heidbrink