Welche moralischen Konsequenzen die technische Autonomie für uns hat, erörterte Professor Uwe Wiemken in seinem Vortrag am 10. April an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Wie weit darf Technik unser Leben bestimmen, ohne dass die Lebensqualität darunter leidet? // Von Tobias Sluzalek
26.05.2014 // „Sie werden einen Weg finden müssen, um mit dem gesellschaftlichen Veränderungsdruck umzugehen, den die Globalisierung mit sich bringt!“, warnt Uwe Wiemken die Zuhörer mit erhobenem Zeigefinger in seinem Vortrag über „Ethische Aspekte technischer Autonomie – Google, Facebook und die NSA“. Er selbst müsse sich darüber keine großen Sorgen mehr machen, scherzt der 68-jährige. Der ehemalige Leiter des Frauenhofer-Instituts für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen referierte im Rahmen der Ringvorlesung Technik- und Umweltethik.
Ethik – mehr als nur ein Sammelbegriff
Die Ethik war ein zentraler Begriff an diesem Abend. Wiemken verbindet ihn jedoch nicht einfach nur mit Moral oder Anstand. Für ihn ist Ethik „ein praktisches Regelwerk“, das immer dann in Kraft tritt, wenn auf Grundlage eines gesellschaftlichen Wertesystems gehandelt wird. Ziel des Ganzen sei ein langfristig friedliches Überleben der Menschheit, welches unter der Weiterentwicklung von Militärtechnik erschwert wurde. Bis ins 20. Jahrhundert waren ethische Aspekte in Kriegs- und Herrschaftsfragen allenfalls eine Disziplin von Religion und Philosophie.
Fortschritt ist nicht aufzuhalten
Erst in den vergangenen Jahrzehnten wurden sie Bestandteil der Technik. Das war jedoch kein selbstständiger Prozess: Der Wandel gehe von der Zivilgesellschaft aus, die Druck ausüben könne und damit häufig Konflikte beeinflusse. Als Beispiel nennt Wiemken den Trabbi: Die Bevölkerung der ehemaligen DDR erzeugte Druck auf ihre Regierung, weil sie wusste, dass in Westdeutschland bessere Fahrzeuge einfacher verfügbar waren. „Aus diesem Grund musste der Warschauer Pakt scheitern“, sagt Wiemken, denn eine „Informationsgesellschaft lässt sich nicht aufhalten“. Dabei erinnert er an die Zensuren im Internet durch die chinesische und türkische Regierung.
Technik übernimmt die Kontrolle
Auf der anderen Seite entwickle die Technik zunehmend eine „unschuldige Eigendynamik“, in der sie den Bürger unausweichlich seiner Freiheit beraube. Gerade vor dem Hintergrund der anhaltenden Spionage der NSA müsse man davon ausgehen, dass alle Daten automatisch ausgewertet werden. Das müsse nicht unbedingt schlecht sein. Autos, die anhand von Koordinaten die Route berechnen und selbstständig fahren, schränken unseren Handlungsspielraum ein, bringen uns jedoch sicherer ans Ziel.
Sicherheit kostet Freiheit
Ähnliche Entwicklung gibt es auch in der Informationstechnik, die wegen der Vorratsdatenspeicherungen häufig negative Schlagzeilen macht. Anschuldigungen, besonders von Seiten des investigativen Journalismus, hält Wiemken nicht immer für gerechtfertigt. Der Honorarprofessor verdeutlicht, dass Gefahren und Chancen Hand in Hand gehen. Die Wissenschaft macht auf Gebieten wie der Videoüberwachung, Gesichtserkennung und Verhaltensanalyse große Fortschritte. Das kann die Sicherheit der Bevölkerung erhöhen, öffnet jedoch dem Missbrauch die Türen. Hier gilt es die richtige Balance zwischen Sicherheit und Freiheit zu finden, die laut Wiemken schon heute für zukünftige Technologien unbedingt festgelegt werden müssen.