Die Journalismusforscherin Wiebke Loosen erklärt im Vortrag „Journalismus (künstlich) Intelligent gemacht? Zum Einzug kommunikativer KI in den Nachrichtenkreislauf“ die Veränderungen, die durch den Einsatz künstlicher Intelligenz im Journalismus entstehen. Für sie ist es ein Wandel auf allen Ebenen. // von Maximilian Klotz

Für Wiebke Loosen steht fest, dass sich durch KI nicht nur die Gesellschaft, sondern auch der Journalismus grundlegend verändern muss – ob dies gewollt sei oder nicht. Dabei stünde nicht im Vordergrund, was KI könne, sondern die Tatsache, dass eine Automatisierung der Kommunikation stattfinde. Von der „harten Automatisierung“, dem Einzug von Industrie-Robotern mit dem Ziel, Produkte herzustellen, habe es eine Entwicklung hin zu einer „weichen Automatisierung“ der Kommunikation gegeben. „Diesen Shift der Automatisierung halte ich für sehr wichtig“, hebt sie hervor. Kommunikation sei ein Kernelement der Sozialität, die die Gesellschaft ausmache.

Kommunikation steht für Sozialität

Wiebke Loosen erklärt das Dosentelefon. Bild: Leon Fix

Loosen beginnt ihren Vortrag mit einem anschaulichen Beispiel: dem Dosentelefon S__E von Joseph Beuys. Dieses einfache Kommunikationsmittel, bestehend aus zwei Dosen und einer Schnur, trägt die Buchstaben S und E für Sender und Empfänger im Namen. Dies verdeutliche das grundlegende Prinzip der menschlichen Kommunikation: ein reziprokes Moment und die soziale Beziehung, den Umgang miteinander. Diese Analogie bildete die Grundlage für ihren weiteren Vortrag.

Projekte mit KI im Journalismus

Loosen führte mehrere Beispiele an, um den Einsatz von KI im Journalismus zu illustrieren. „Die Themen, die heute öffentlich diskutiert werden, waren in Fachkreisen schon lange bekannt“, sagt sie. Sie erwähnt die TAZ, die 2022 die erste von KI geschriebene Kolumne veröffentlichte. Diese Kolumne, verfasst von der KI namens Anic T-Wae, behandelte das „Erwachsenwerden“ einer Maschine und bot damit eine innovative und spannende Perspektive. Ein weiteres Beispiel ist der Bild-Podcast, bei dem KI genutzt wird, um Beiträge mit einer synthetischen Stimme vorlesen zu lassen. Zudem hebt sie den Botcast von studio47 hervor, der ebenfalls auf KI setzt, um Inhalte zu erstellen und zu präsentieren.

Automatisierung ersetzt Arbeitsplätze

„Seit der Einführung von ChatGPT sind Jobs, die etwas mit Texten zu tun haben, zurückgegangen“, sagt Loosen. Bild: Leon Fix

Die Befürchtung, dass KI Arbeitsplätze ersetzt, ist laut Loosen berechtigt: „Seit der Einführung von ChatGPT sind Jobs, die etwas mit Texten zu tun haben, zurückgegangen“, sagt sie. Das würde auch redaktionelles Schreiben und Texten betreffen. Dass die Automatisierung schon immer mit Ängsten um den Verlust von Arbeitsplätzen verbunden war, zeigt Loosen am Beispiel von Titelseiten des Spiegels: Das Magazin griff bereits 1964 mit dem Titelbild „Einzug der Roboter“ und 1978 mit dem Titel „Fortschritt macht arbeitslos“ die Befürchtungen hinsichtlich steigender Arbeitslosigkeit auf. 2016 und 2023 wurden schließlich die Sorgen um den Ersatz von Menschen durch Maschinen und die Möglichkeit des Lügens durch Maschinen thematisiert.

Datafizierter Journalismus und KI als neue Praxis 

Loosen beschrieb vier Formen des datafizierten Journalismus, die den modernen Journalismus prägen. Dazu gehören die Analyse und der Umgang mit Daten sowie die automatisierte Erstellung von Inhalten durch Algorithmen oder der Einsatz von Algorithmen zur Personalisierung und Verbreitung von Nachrichten. Das sei alles schon Praxis im Journalismus. „Generative KI im Journalismus ist eine Technologie, die die Medien- und Informationsumgebung verändert, ebenso wie die Art und Weise, wie Journalismus betrieben wird“ fasst Loosen ihre Erkenntnisse zur KI im Journalismus zusammen. Außerdem sei KI ein Berichterstattungsgegenstand und wird selbst wird zum Thema journalistischer Berichterstattung. Man könne sie als Tool in journalistischen Arbeitsprozessen ansehen, welches alle Phasen der Erstellung journalistischer Aussagen begleitet. Deshalb sei auch die Frage nach KI als mögliche Führungskraft in Teilprozessen nicht außer Acht zu lassen.

Paris Charta als ethische Leitlinie

Die Studierenden sind sich einig: KI wird auf lange Sicht den Menschen nicht ersetzen. Bild: Leon Fix

Im Hinblick auf ethische Leitlinien verwies Loosen auf die Paris Charta, die eine Reihe von Grundsätzen für den Umgang mit KI im Journalismus festlegt. Diese sollen ethische Standards setzen, um die Nutzung von KI zu regulieren. Ein zentraler Punkt ihres Vortrags war die Priorisierung der menschlichen Handlungsfähigkeit in den Medien. Sie führte das Konzept des „Human in the loop“ an, bei dem Menschen maschinelles Lernen überwachen und verbessern. Ein Beispiel aus der Informatik verdeutliche dies: Menschen bewerten und steuern die Arbeit von Maschinen, um deren Leistung zu optimieren. Loosen ist allerdings skeptisch: „Das Narrativ, dass Automatisierung im Journalismus nur von Routinearbeiten entlastet, hat sich geändert.“

Menschen sollen kontrollieren

In der anschließenden Publikumsdiskussion stellen Studenten aus dem Studiengang nachhaltige Ingenieurwissenschaften ihre Ergebnisse aus eigenen Recherchen vor und rufen zu einer konstruktiven Diskussion auf. Der allgemeine Konsens ist, dass KI den Menschen auch auf lange Sicht nicht ersetzen und der Mensch hinter der Maschine noch immer eine Eigenleistung erbringen sollte. Aber es gebe auch Bereiche, beispielsweise in der Wirtschaft oder in der Sportberichterstattung, wo es keiner menschliche Arbeit bedarf, um geeignet informiert zu werden.

Insgesamt bot der Vortrag von Wiebke Loosen an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg einen umfassenden Einblick in die vielfältigen Auswirkungen und Herausforderungen, die der Einsatz von KI im Journalismus mit sich bringt. Durch anschauliche Beispiele und tiefgehende Analysen konnte sie die Zuhörer für die komplexe Thematik sensibilisieren und zur Reflexion über die Zukunft des Journalismus anregen. Die Veranstaltung dokumentierte eindrucksvoll, dass der Einzug kommunikativer KI in den Nachrichtenkreislauf sowohl Chancen als auch Risiken birgt, die es sorgfältig abzuwägen gilt.

 

Interessante Links:

  • https://www.hans-bredow-institut.de/de/mitarbeiter/wiebke-loosen
    Dieser Link führt zur offiziellen Seite von Wiebke Loosen am Hans-Bredow-Institut. Es bietet umfassende Informationen über ihre Forschungsarbeiten und Expertisen, insbesondere im Bereich Journalismus und digitale Medien. Diese Hintergrundinformationen sind entscheidend, um ihre Autorität und Fachkompetenz im Kontext des Vortrags zu unterstreichen.
  • https://taz.de/Entwickler-ueber-KI-Kolumnistin/!5938268/
    Dieser Artikel der taz behandelt die Entwicklung und den Einsatz von KI im journalistischen Kontext, konkret durch die Erstellung von KI-geschriebenen Kolumnen. Dies bietet praktische Einblicke und Beispiele, wie generative KI im Journalismus verwendet wird, was ideal ist, um theoretische Überlegungen mit realen Anwendungen zu untermauern.
  • https://www.axelspringer.com/de/ax-press-release/bild-podcasts-mit-personalisierter-ki-stimme-ab-sofort-auch-auf-englisch
    Diese Pressemitteilung von Axel Springer beschreibt die Einführung von personalisierten KI-Stimmen in BILD-Podcasts. Sie zeigt, wie traditionelle Medienhäuser innovative KI-Technologien integrieren, um ihre Inhalte zu diversifizieren und zu internationalisieren. Dies ist ein anschauliches Beispiel für die praktische Anwendung von generativer KI im Journalismus.
  • https://www.studio47.de/botcast.html
    Der Botcast von Studio47 ist ein Podcast, der von einer KI moderiert wird. Dies ist ein innovatives Beispiel für den Einsatz von KI im Rundfunkjournalismus. Es zeigt die Möglichkeiten und Herausforderungen, die mit der Verwendung von KI in der Erstellung und Verbreitung journalistischer Inhalte einhergehen, was für einen Vortrag sehr illustrativ sein kann.
  • https://www.thomsonfoundation.org/latest/paris-charter-on-ai-and-journalism-unveiled/
    Die Paris Charter on AI and Journalism, die von der Thomson Foundation vorgestellt wird, behandelt ethische Richtlinien und Best Practices für den Einsatz von KI im Journalismus. Dieser Link ist besonders wertvoll, da er normative und ethische Aspekte beleuchtet, die in einem Vortrag über die Anwendung von generativer KI im Journalismus nicht fehlen sollten.
  • https://www.journalismai.info/festival
    Das JournalismAI Festival ist ein Event, das sich speziell auf die Schnittstelle von KI und Journalismus konzentriert. Es bietet eine Plattform für den Austausch von Wissen und Erfahrungen zwischen Experten und Praktikern. Informationen über dieses Festival können aktuelle Trends und Diskussionen über KI im Journalismus aufzeigen und wertvolle Netzwerkmöglichkeiten für Teilnehmer des Vortrags bieten

 

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