Natur und Technik – diese Begriffe können kaum gegensätzlicher sein. Ethik-Professor Dieter Sturma von der Universität Bonn ist jedoch der Ansicht, dass dies nicht zwangsläufig so sein muss. // Von Sebastian Alicke

14.6.2013 // Zu Beginn seines Vortrages “Natur und Technik” am 23. Mai an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg definierte Professor Dieter Sturma “Natur” als den Kosmos oder die Gesamtheit der nicht menschlichen Welt. Der Direktor des Instituts für Wissenschaft und Ethik an der Universität Bonn stellte zudem klar, dass die Natur keine Quelle für Normen sein könne und dass Ethik nicht aus der Natur abzuleiten sei. “Es gibt keine Natürlichkeit”, sagte er. Vielmehr müsse nach Gründen für den Wert der Natur gesucht werden. So wie es zum Beispiel Maurice Merleau-Ponty mit seinem Satz “Natur ist das, was uns trägt.” getan habe.

Technik ist wie eine verlängerte Hand

Die Technik selbst ist für Sturma ein Werkzeug: eine verlängerte Hand, die uns dienen soll. Technik erweitere unsere Möglichkeiten und helfe uns. Mit diesem Bild gab der Ethik-Professor den ersten Denkanstoß zu seiner These, dass sich Natur und Technik sich gar nicht so abstoßen, wie viele annehmen.

Die Aneignung von Raum und Zeit

Um Technik verstehen zu können, müsse man in die Geschichte der Menschheit schauen, in die Zeit, als wir begannen, Techniken zu erfinden. Den ersten Entwicklungsschritt veranschaulichte Sturma mit Bildern, die die Organisation von Neandertalern beim Jagen zeigen. Auf einer Zeichnung waren die Wege der Jäger dargestellt. Sie waren also in der Lage, den Raum zu beherrschen, zu domestizieren. Den zweiten Entwicklungsschritt erklärte der Philosoph am Beispiel einer “Verabredung” der Neandertaler: Sie wollten sich an einem bestimmten Ort zu treffen, sobald die Sonne hinter einer Bergspitze untergeht. “Das war eine unglaublich komplizierte Art, sich auszudrücken”, so Sturma. Die Domestikation von Zeit sei eine Fähigkeit, die uns vom Tierreich unterscheide. Ohne Kontrolle von Raum und Zeit wäre es nicht möglich gewesen, Techniken zu entwickeln.

Technik als Kultur

Mit der Beherrschung des Raumes und der Zeit, mit dem Entdecken und Erfinden von Techniken haben die Menschen – so Sturmas nächste These – eine neue zweite Natur aufgebaut: die Kultur. Damit war Sturma bei dem Verhältnis der drei zentralen Begriffe “Technik”, “Natur” und “Kultur” angelangt. Auf der einen Seite sei Kultur erst durch Technik entstanden, auf der anderen könne Technik der Natur nur helfen, wenn die technischen Möglichkeiten mit kulturellen Zielen verbunden würden.

Anhand der Lissabonner Erdbebenkatastrophe im Jahr 1755 erläuterte Sturma das Zusammenwirken von Technik, Kultur und Natur. Nur durch die Kombination aus einer ungünstigen Bauweise der Häuser und der Naturgewalt des Erdbebens konnte das Unglück so groß werden, dass es viele Diskussionen darüber auslöste, wie ein gütiger Gott dieses Übel in der Welt zulassen könne. In diesem Zusammenhang zitierte er den Philosophen Jean-Jacques Rousseau: “Die menschliche Natur schreitet niemals zurück.” Wir können nicht zu einem Zustand der Unschuld zurückkehren, erklärte Sturma. Die Natur gebe es nicht mehr in einer unantastbaren Verfassung – und habe es auch noch nie gegeben, auch nicht vor der Menschheitsgeschichte.

Ziel der Technik ist die Welterzeugung

Gleichwohl oder gerade deshalb hätten wir Verantwortung für die Natur, so Sturmas Fazit. “Wir können die natürlichen Ressourcen nutzen, aber nicht verbrauchen oder vergeuden.” Wie kann das geschehen? Sturmas Lösung: Wir sollten unsere gegenwärtig Politik daran ausrichten, was gut für die jüngste Bevölkerung ist: zum Beispiel sauberes Wasser oder Innenstädte, in denen Kinder ungefährdet von Verkehr und Lärm draußen spielen können. Dann gingen wir automatisch nachhaltig mit den Ressourcen um. “Eine gute Praxis schaut der Natur Tricks ab ohne sie zu verbrauchen.” So entstehe durch Technik keine Zerstörung, sondern eine Welterzeugung oder Weltschöpfung.

Informationen zu Prof. Dr. Dieter Sturma auf den Seiten der Universität

Bonn: Wikipedia-Artikel zu Jean-Jacques Rousseau

 

Sebastian Alicke // Fotos: Daniel Beer // Video: Edwin Hurt, Lisa Meurer

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