Wie männlich ist der Ingenieurberuf und haben Gegenstände ein Geschlecht? Diese Fragen diskutierte die Soziologin Bianca Prietl mit den Studierenden jetzt an der HBRS. Sehr schnell wurde deutlich, wie sehr die Geschlechterrollen unser tägliches Leben bestimmen. Beim Nachdenken über Technik spielt die Genderforschung daher eine wichtige Rolle. // Von Miriam Scheibling

14.7.2014 // Mit einem künstlichen Bart eröffnete Susanne Keil die Ringvorlesung und stellte die Gastdozentin Bianca Prietl vor. Mit dieser Anspielung an die ESC-Gewinnerin Conchita Wurst zeigte die Professorin: Das Rollenverständnis von Mann und Frau ist tiefer im Menschen verankert, als vermutet. Nach dem überraschenden Einstieg in die Veranstaltung zeigte die Genderforscherin Bianca Prietl auf, wie es in Ingenieurberufen und Technik um die Gleichberechtigung von Mann und Frau bestellt ist.

Wenig Interesse an Ingenieurstudium

Viele verbinden mit dem Ingenieurberuf noch immer ‘Mann und Maschine’ . ‘Mann und Maschine’ ist der Titel einer Monographie von Tanja Paulitz, die sich mit der geschichtlichen Entwicklung des Verständnisses vom Ingenieur und den modernen Technikwissenschaften in der Gesellschaft befasst. Bianca Prietl startete mit einem Diagramm über Frauen- und Männeranteile in verschiedenen Studienrichtungen. Aus den Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus 2012 geht hervor, dass der Anteil von Frauen bei den Sprach- und Kulturwissenschaften mit 70 Prozent am höchsten und bei den Ingenieurwissenschaften mit 21 Prozent am niedrigsten ist. Ausgeglichen sind Frauen- und Männeranteile bei Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Unter den Studierenden an deutschen Hochschulen in Ingenieurwissenschaften ist der Frauenanteil bei Maschinenbau und bei Elektrotechnik mit jeweils nur neun Prozent am geringsten; bei Wirtschaftsingenieurwesen beträgt er 24 Prozent und bei Bauingenieurwesen immerhin 26 Prozent. “Dabei sind die Chancen auf dem Arbeitsmarkt nicht schlecht”, sagte Bianca Prietl.

Anhand einer Studie von Franziska Schreyer von 2008 zeigte Prietl, dass Frauen bei gleicher Ausbildung in technischen Berufen gegenüber Männern benachteiligt sind: Absolventen eines Ingenieurstudiums arbeiten im Vergleich zu ihren Kommilitoninnen häufiger als Ingenieur oder als Führungskraft, während Ingenieurinnen häufiger als Bürokraft arbeiten. Die Benachteiligung von Frauen in Technikberufen erstreckt sich auch auf das Risiko, arbeitslos zu werden: So lag die Arbeitslosenquote männlicher Akademiker im Jahr 2000 in “Männerfächern” bei 2,1 Prozent, während sie bei Akademikerinnen derselben Berufsgruppen 4,5 Prozent betrug.

“Do artifacts have gender?”

Gibt es geschlechterspezifische Produkte? Bianca Prietl zeigte am Beispiel von Rasierern, dass es stereotype Annahmen von Männern und Frauen gibt. Bei den Rasierern für Männer wird oft mehr Technik eingesetzt, wohingegen bei denen für Frauen oft auf Farbe, Form und Aussehen Wert gelegt wird. Es gibt viele Modelle, die die verschiedenen Herangehensweisen von Frauen und Männer an Technik erklären. Obwohl einige dieser Modelle, wie zum Beispiel das Defizit-/Distanzmodell, als widerlegt gelten, stellte Bianca Prietl damit eine gute Verbindung zum Spannungsfeld “Ich bin eine Frau, aber auch eine Ingenieurin” her.

“One of the boys”

Wie ist die Identitätsstruktur von Ingenieurinnen? Viele versuchen sich unsichtbar zu machen und somit”one of the boys” zu werden. “Oft solidarisieren sich Ingenieurinnen nicht untereinander, weil sie Angst haben, dass es ihre berufliche Qualität in den Hintergrund stellen könnte”, sagte die Soziologin. Studien zeigen: Wenn eine Frau als Ingenieurin erfolgreich sein wolle, müsse sie wie ein Mann reden, aussehen und arbeiten, und sich der Arbeitskultur nach dem Motto “Work hard, drink hard” anpassen.

Technik muss nicht männlich sein

Muss Technik immer mit “Männlichkeit” assoziiert werden? Oft werden diese beiden Begriffe zusammen gedacht, ohne zu berücksichtigen, was wir überhaupt unter Technik verstehen. Wie sieht ein Ingenieur denn eigentlich aus? Wenn man Technik aus einer historischen Perspektive betrachtet, wird klar: Erst seit dem 18. Jahrhundert wird Technik vermehrt mit Maschinen in Verbindung gebracht. Davor galt zum Beispiel Stricken ebenfalls als eine Technik. Die stereotypische Vorstellung von Ingenieurinnen in unserer Gesellschaft zeigte die Genderforscherin anhand von Interviews mit Experten aus der Ingenieurbranche auf. Stellvertretend für das verbreitete Rollenverständnis von Männern und Frauen waren die Äußerungen eines Geschäftsführers. Trotz Fachkräftemangel baute er laut Prietl vor allem auf die soziale Kompetenz von Frauen und suche Mitarbeiterinnen hauptsächlich für Personalführung und Management. Aber nicht überall wird Technik automatisch mit Männlichkeit in Verbindung gebracht. Die kulturellen Vorstellungen von Technik beeinflussen, wer als Ingenieurin und Ingenieur arbeitet: Laut Prietl arbeiten zum Beispiel in Malaysia viele Frauen in der IT-Branche, weil diese für sie einen sicheren und sauberen Arbeitsplatz bedeutet.

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