Die Hochschule in der Corona-Pandemie – Professor Marco Winzker, Vizepräsident für Studium und Lehre – zeigt die Entwicklung vom ersten Lockdown bis zur aktuellen Situation auf. Technik spielt eine wichtige Rolle, aber sie kann den persönlichen Kontakt nicht ersetzen. Diese Erfahrung teilen alle. // von Rainer Meyer
Über 100 Studentinnen und Studenten haben sich zum Auftakt der Ringvorlesung zugeschaltet – manche mit eingeschalteter Kamera, aber von den meisten sieht man nur eine schwarze Kachel, einen Namen und manchmal nur ein Namenskürzel. So sahen die Lehrveranstaltungen in den vergangenen zwölf Monaten aus – eine Herausforderung für alle. Marco Winzker beschreibt die Vorgänge an der Hochschule chronologisch: „Hochschule vor Corona, Hochschule während Corona und Hochschule nach Corona“.
Ausgangslage war „heterogen“
Vor Corona, so Marco Winzker, konnte die Einstellung der Lehrenden zu digitalen Bildungsmöglichkeiten als eher heterogen beschrieben werden. Zwischen Begeisterung und Ablehnung gab es viele Schattierungen. Auf breiter Front genutzt wurde das hochschuleigene Lern-Management-System LEA, das aber für die Anforderungen auf eine weitgehende Komplettumstellung auf digitale Lehre nicht ausreichend war. Auch auf der rechtlichen Ebene gab es keine ausreichende Vorbereitung auf Fragen zu Online-Prüfungsmöglichkeiten, zum Datenschutz und zur prüfungsrechtlichen Gleichstellung. Auf der technischen Ebene war die elektronische Kommunikation gesichert, es bestand aber keine ausreichende technische Basis für Online-Veranstaltungen.
Von Lockdown zu Lockdown
Während der Corona-Entwicklung habe die Hochschule flexibel auf die Kurve der Infektionen der Region reagiert. Mit dem Anstieg der Inzidenzen auf 50 im März 2020 wurden die Klausuren und Praktika zunächst abgesagt und konnten später nachgeholt werden. Gleichzeitig wurde im Sommersemester 2020 auf Online-Lehre umgestellt. Erste Erfahrungen mit der Hybrid-Lehre konnten so in der ersten Welle der Pandemie gemacht werden. Auf diesen Erfahrungen baute die Hochschule im Wintersemester auf. Der Sprung der Inzidenzen auf über 150 vor Weihnachten und die Ausbreitung von Virus-Mutationen Anfang 2021 führte dann wieder zum „Hochschul-Lockdown“: „Mit Beginn dieses Jahres wurde dann komplett auf Online-Lehre und -Klausuren umgestellt.“
„Wir hatten im März 2020 den Notfallmodus“
Für die erste Phase der Umstellung ist der Begriff „Emergency Remote Teaching“ prägend, Marco Winzker nennt es „den Notfallmodus“: Synchrone und asynchrone Lehrinhalte wurden entsprechend der Möglichkeiten und Kompetenzen der Lehrenden umgesetzt. Von Juli bis Oktober 2020 konnten bei Inzidenzen von zunächst unter 50 die Klausuren und einzelne Laborpraktika in Präsenz nachgeholt werden. „Im Oktober stiegen die Zahlen wieder, das war knapp“, berichtet Winzker. Teilweise wurden die neuen Möglichkeiten von den Studierenden begrüßt; schwierig wurde die Umsetzung bei Laboren und für praktische Bildungsinhalte erlebt, denn „Lehre ist mehr als Vorlesung hören.“
Viele sind am Wandel beteiligt und Technik ist unverzichtbar
Für die Zukunft, die Zeit nach Corona, setzt Winzker auf „Change-Management“: Lehrende werden zu Pionieren für neue Ansätze und die Hochschuldidaktik unterstützt die Lehrenden bei der Umsetzung. Änderungen bei den gesetzlichen Regelungen sorgen für eine Verstetigung der neuen Lehrformate und Prüfungen, zum Beispiel durch neue Prüfungsordnungen. Die Technik ermöglicht Veränderungen. Es reiche nicht aus, gute Ideen zu haben, sondern es werde auch die entsprechende Technik dazu benötigt. Die Krise durch Corona könne als Chance eingeschätzt werden, das „dominierende System“ der Hochschulpraxis zu modifizieren und zu verbessern. Natürlich seien auch die Studierenden, die Gesellschaft und die Wirtschaft gefragt, um den Wandel mitzugestalten.
„Konflikte gehören dazu“
Dieser Prozess ist nicht so harmonisch, wie man zunächst denken könnte: „Wandel erzeugt Konflikte“, unterstreicht Winzker. So können lokale Einzelereignisse zur bundesweiten Aufmerksamkeit beitragen. Anderseits können solche Prozesse auch von Einflussgruppen genutzt werden, um ihre Anforderungen stärker in den Wahrnehmungsprozess der Gesellschaft zu bringen. „Wir müssen lernen, Risiken abzuwägen und Chancen zu bewerten“, sagt Winzker.
Für die Zukunft viel gelernt
Zum Abschluss seines Vortrags wirft Winzker die Frage auf: „Was bleibt?“. Alle Beteiligten hätten viel gelernt, was sie für die nähere und weitere Zukunft brauchen können. Es wurden neue Regeln gefunden, die zukünftig bei Prüfungen Verhalten normierten. Man habe besser erkannt, welche Chancen und Möglichkeiten in der Präsenz liegen und wie diese für anzubahnende Verhaltensänderungen zu nutzen sind. Man wisse auch besser, den Wert von Online-Formaten einzuschätzen.
In der anschließenden Diskussion kommen Studentinnen und Studenten mit Diskussionsbeiträgen und Fragen zu Wort. Betont werden die Schwierigkeiten, die vor allem Erstsemester haben, da ihnen informelle Kontaktmöglichkeiten fehlen. Winzker macht auf Aktivitäten der Hochschule wie zum Beispiel einen digitalen Spieleabend aufmerksam: „Das ist kein Ersatz für Präsenz, aber es ist eine Möglichkeit, Interaktion zu befördern.“
Die Studierenden weisen darauf hin, rassisch die Chancengleichheit durch die Corona-Einschränkungen verschlechtere, weil die materiellen Ressourcen unterschiedlich seien. Winzker verweist auf Angebote der Hochschule, die Studierende bei Problemen mit dem Lernstoff unterstützen, wie zum Beispiel Vorkurse, Technik-Praktika und Schreibwerkstatt. Auf die Hinweise, dass Online-Klausuren bei schlechter Internetverbindung zu viel Stress geführt hätten, reagiert er mit Verständnis: „Der Wechsel von Präsenz auf Online war bei den Prüfungen deutlich schwieriger.“
Aus der Sicht von Studierenden gibt es aber Vorteile durch das verstärkt praktizierte Online-Angebot, insbesondere wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Studium geht. Studierende, die sehr weit weg vom Studienort wohnen, gewinnen Zeit. Das sieht Marco Winzker genauso. Er findet es auch wichtig, dass viele Lehrende durch die quasi erzwungene Online-Lehre nun viel besser einschätzen könnten, welche Lehrformate für sie angemessen seien.
Links
- https://www.h-brs.de/de/pro-mint-us
Informationen der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg zum Projekt Pro-MINT-us, für das Marco Winzker die Projektleitung übernommen hatte. Pro-MINT-us ist ein erfolgreiches Projekt im Rahmen des bundesweiten Programms „Qualitätspakt Lehre“. Erläutert werden die Möglichkeiten der Studierwerkstatt, der projektbasierten Lehre und der Schreibberatung bzw. Schreibwerkstatt. - https://www.h-doppelpunkt.de/cms/hochschulpolitik/hochschuldigitalisierung-und-corona.html
Bericht der hochschuleigenen Publikation zu den Anforderungen und Leistungen, die im Zusammenhang mit der Corona-Infektion an die Hochschule gestellt wurden bzw. erbracht werden konnten. Marco Winzker macht mit einem Statement deutlich, wie die Hochschule die Krise als Möglichkeit zur Weiterentwicklung der Digitalisierung nutzen kann. - https://hochschulforumdigitalisierung.de/de/thesen-digitalisierung-hochschulbildung
Das Hochschulforum Digitalisierung ist eine öffentlich finanzierter Denkfabrik, die sich mit der Hochschulausbildung im digitalen Zeitalter beschäftigt. Hinter dem Projekt stehen der Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, das Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) und die Hochschulrektorenkonferenz. Mit den Thesen zur Digitalisierung sollen Details des Prozesses für gesellschaftliche Diskussionsprozesse geöffnet werden. - https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-studium-universitaet-100.html
Das ZDF hat den Fokus für diesen Bericht auf die Probleme der Studierenden gerichtet, die angesichts der Corona-Einschränkungen und -Veränderungen große Schwierigkeiten haben, angemessen schnell und angemessen intensiv ihre Ausbildung fortzusetzen. Neben den Risiken werden auch die Chancen durch die Weiterentwicklung der digitalen Kommunikation aufgezeigt.
Die gesamte Vorlesung gibt es hier zu sehen: