Wie soll die Welt nach der Corona aussehen? Dr. Shen Xiaomeng, Forscherin bei den Vereinten Nationen, schlägt das Konzept der WISE-Transformation für den Wiederaufbau vor. Dabei spielen nicht nur das Bruttosozialprodukt, sondern Wohlergehen, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit eine wichtige Rolle. // von Kasimir Hupe

„Ich weiß nicht genau, wie wir die Welt schnell verändern können, aber wir müssen es versuchen“, appelliert Dr. Shen Xiaomeng, Direktorin des Instituts für Umwelt und menschliche Sicherheit EHS der United Nations University, an die Studierenden. In ihrem Vortrag zur Post-Covid-Forschungsagenda stellt sie die Ansätze des WISE-Forschungsprojekts für einen nachhaltigen Umbau der Wirtschaft vor. Abgeleitet wird WISE von den englischen Begriffen Wellbeing, Sustainability und Equity, zu deutsch Wohlergehen, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit. “WISE steht auch für weise”, sagt Shen. 

Wirtschaftswachstum bedroht Ressourcen

Für den Wiederaufbau nach der Coronakrise müssen globale Lösungen her. Bild: Anna Shvets/Pexels

Das Konzept ist nach ihren eigenen Worten eine Vision jenseits des BIP-Wachstumsfetischismus zur Bekämpfung des Klimawandels, der Armut und der Ungleichheit. Durch die Transformation soll eine nachhaltige und gerechte Wirtschafts- und Wohlstandsentwicklung garantiert werden. Der enge Fokus auf Wirtschaftswachstum und dem BIP als Indikator habe zur Ausbeutung der natürlichen Ressourcen des Planeten geführt. „Die Wirtschaft hat eine unglaublich prominente Position in unserem Leben eingenommen“, so die Forscherin. Anhand einer Studie zeigt sie auf, dass in der New York Times wirtschaftliche Themen viel häufiger behandelt werden als Themen aus anderen Wissenschaften. „Seit dem Zweiten Weltkrieg ist das Wirtschaftswachstum zum Narrativ unseres Lebens geworden“, betont Shen.

Veränderung ist notwendig

Besonders wichtig ist ihr, dass man aus der Corona-Pandemie die richtigen Schlüsse ziehe und hier nicht blind weitermache wie bisher. Sie plädiert dafür, dass man „das Zeitfenster nutzt, um über eine Transformation nachzudenken, damit wir die Welt nicht zum Originalzustand vor Corona zurückfahren.“ Shen sagt, sie und ihr Team wollten Modelle entwickeln, um Entscheidungsträger dabei zu unterstützen, Entscheidungen zu treffen, die nicht nur auf mehr Wohlstand abzielten, sondern auf mehr Wohlbefinden, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit. Um dies zu erreichen „müssen wir unsere Mentalität ändern“, findet sie.

 

Wissenschaftler erforschen Motivation

COVID-19 hat weltweit jeden Bereich des öffentlichen Lebens beeinflusst. Bild: CDC/Pexels

Aktuell erforschen die Wissenschaftler, was für eine solch tiefgreifende Veränderung nötig ist. Shen formuliert es so: „Wir wollen herausfinden welche Lebensbereiche wir beeinflussen müssen, um die Gesellschaft in Bewegung zu setzen. Wir sind in der Lage, Verhalten zu ändern, wir brauchen nur die richtigen Trigger.“ Als Beweis hierfür führt sie eine Studie an, die gezeigt hat, dass Haushalte Strom sparen, wenn es Anreize gibt. So reichte es aus, vom Stromanbieter für den niedrigen Stromverbrauch gelobt zu werden. Auch nach Beendigung des regelmäßigen Lobens blieb der Stromverbrauch niedriger als am Anfang.

 

Selbstverwirklichung und Arbeit sind wichtig

Nach der Präsentation stellt Shen zwei Fragen an das Publikum. Die erste lautet: „Was ist Ihnen in Bezug auf Wohlergehen am Wichtigsten?“ Nach reger Partizipation entscheidet sich die Mehrheit für Selbstverwirklichung und 23 Prozent für ein soziales Netzwerk. Nur knapp ein Fünftel entscheidet sich für Wohlstand. „Wohlstand ist nicht für alle das Wichtigste im Leben“, betont Shen. Die zweite Frage lautet: „Was würden Sie tun, wenn Sie ein bedingungsloses Grundeinkommen hätten?“ Zu Shens Freude würden die meisten normal weiter ihrem Job nachgehen. „Arbeit ist sinngebend,“ kommentiert Shen, „das erklärt die Antwort auf die Frage.“

Alternative Konzepte sind gefragt

Die Zeit nach Corona könnte ein tragfähigeres System für kommende Generationen ermöglichen. Bild: Dominika Roseclay/Pexels

In der anschließenden Diskussion wird das Thema Grundeinkommen noch einmal aufgegriffen. Shen ist großer Fan des Konzepts und spricht auch davon, dass „alle Menschen mit Grunddienstleistungen versorgt werden sollten.“ Zudem wird über andere Konzepte wie der nationale Wohlfahrtsindex und der World Happiness Report diskutiert. Bei diesen Ansätzen ist die Wissenschaftlerin aber der Meinung, dass es zu viele Indikatoren gebe, die nicht miteinander harmonisierten.
Vor ihrer Verabschiedung macht die Rednerin noch einmal allen Mut: „Die Veränderung kommt von unten, nicht von oben.“ Wenn 3,5 % der Weltbevölkerung auf die Straße gehen reicht das ihrer Aussage nach aus, um eine große Veränderung herbeizuführen. Sie appelliert an die Studierenden Einfluss zu nehmen, um einen ganzheitlicheren Ansatz zur Beurteilung unserer Lebensqualität durchzusetzen. Das virtuelle Klatschen der Teilnehmer beendet daraufhin die Veranstaltung.

 

Links:

Die gesamte Vorlesung gibt es hier zu sehen:

 

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