Natur und Technik werden oft als Gegensätze gesehen, wobei Technik als Bedrohung des Natürlichen gilt. Der Philosoph Dieter Sturma ist anderer Meinung. Er begründet, warum seiner Meinung nach Technik natürlich ist, was nachhaltiges Handeln bedeutet und warum eploitatives Verhalten unethisch ist. // von Louis Lemke

Professor Dieter Sturma stellte zu Beginn seines Vortrags „Von der Natur der Technik“ in der Ringvorlesung klar: „Die Natur und die Technik definiere ich selbst nicht als Gegensätze.“ Auch andere Überzeugungen teilt er nicht, zum Beispiel die Bewertung von Technik mit Attributen wie „gut“ oder „böse“. Aus der Natur selber könne man keine Normen ableiten, vom Sein nicht auf das Sollen schließen. Der Einsatz von Technik müsse vielmehr begründet werden.

 

 

Von der Phänomenologie der Technik

Die Phänomenologie ist die Gegenstandsbeschreibung, sie steht in der Philosophie immer am Anfang eines Diskurses. „Technik bedeutet die Beherrschung eines Handlungsschemas und die Verfügbarkeit von Mitteln zum Zweck menschlicher Handlungen“, zitierte Sturma eine gängige Definition. Für ihn ist jedoch die These eines französischen Archäologen schlüssiger, nach der Technik eine Ausdrucksform der humanen Lebensform ist und somit natürlichen Ursprungs sein muss. Der Philosoph zog eine Parallele von Technik zu Wissenschaft und Kunst: „Diese Dinge scheinen sich von der Natur abzuheben, aber wir konstruieren sie, um der Natur nahe zu sein.“ Sogar der Supercomputer in Jülich, ein Inbegriff für Hightech, ist nach Meinung von Sturma uns viel ähnlicher als wir glauben: „Die Art und Weise wie wir mit KI und Robotik umgehen, verweist auf Anfänge der Techniknutzung“, sagte Sturma. Doch wie entstand Technik?

Technik verändert Natur, ist aber Teil von ihr

Bild: Claudio Steffes-Tun

Die Entwicklung von Technik erfolgte laut Sturma nicht zwangsläufig; es bedurfte bestimmter Korridore, die sie ermöglichte. Die These, dass ein besonders kluger Vorfahre sie erfunden habe, lehnt Sturma ab. Er befürwortet vielmehr die These des französischen Archäologen André Leroi-Gourhan, nach der kontrollierte und wiederholte Bewegungen der Ursprung von Technik sei. „Kontrollierte Bewegungen bildeten eine Ordnung und haben etwas mit Zeit, Raum, gesellschaftlicher Ordnung und Symbolik zu tun“, sagte Sturma. Der wichtigste Schritt sei somit nicht das Werkzeug, sondern die Inbesitznahme von Zeit und Raum gewesen. Was das für die Urmenschen bedeutete, erklärte Sturma an einem einfachen Beispiel: Verabredungen und Orientierung in der Umgebung hieß, dass beispielsweise Kinder nicht mehr auf die Jagd mitgenommen werden mussten. Sie blieben an einem geschützten Standort, was dazu geführt haben muss, dass die Kindersterblichkeit enorm sank.  

Sprache ist eine symbolische Technik

Bild: Claudio Steffes-Tun

Sturma ist überzeugt, dass auch Sprache ähnlich entstanden ist. Symbole ermöglichten es den Menschen, ihre Gedanken anderen mitzuteilen und dies habe eine neue Organisationsform geschaffen. Der Ursprung sei jedoch wie der der Technik natürlich. In diesem Zusammenhang zitierte Sturma den Psychologen Merlin Donald, der Symbole als Ursache für bewusste mentale Aktivitäten ansieht: „External symbols are revolutionary because they transform the architecture of concious mental activity.“ An dieser Stelle zog Sturma die Parallele zum Supercomputer in Jülich: „Das hat viel mit der Architektur zu tun, die für die Rechenleistungen genutzt werden.“

Junge Menschen sollten mitbestimmen

Wie entscheidet man nun, ob Technik ethisch vertretbar eingesetzt wird? Sturma stellte die These auf, dass sich die Menschen daran orientieren sollten, ob ihr Tun in die Natur passt. Die Argumentation mit der Verantwortung für künftige Generationen lehnt er ab. Allerdings forderte er: „Die jüngere Generation sollte einbezogen werden!“ Das würde zu entscheidenden Veränderungen in praktisch allen Politikbereichen führen. In diesem Zusammenhang erklärte er den Begriff der künftigen Vergangenheit: „Bei allen Dingen, die wir tun, ist es vernünftig, daran zu denken, wie künftige Generationen auf uns schauen werden.“

„Gute Praxis ist immer nachhaltig“

Bild: Claudio Steffes-Tun

Exploitatives Verhalten ist laut Sturma immer eine schlechte Form der Praxis. Dabei werden die Grenzen der Verfügbarkeit rücksichtslos und aus purer Eigennützigkeit überschritten. Ein positives Beispiel für Praxis im sozialen Raum ist der Diskurs der nachvollziehbaren Gründe, der sich von ideologischen Vorgaben abgrenzt. „Gute Praxis hat keine exploitativen Entgrenzungen und ist somit immer nachhaltig“, stellte Sturma fest. Im Anschluss an den Vortrag diskutierte Sturma mit den Studierenden über die Rolle der Politik. Auch hier gilt für den Philosophen: „Jede vernünftige Entscheidung ist nachhaltig, das gilt auch für die Politik.“ Allerdings ergänzte er: „Das heißt aber nicht, dass sie unter allen Bedingungen nachhaltig genug ist.“

 

 

Die gesamte Vorlesung gibt es hier zu sehen:

 

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