Warum es die Welt nicht gib – so lautete das Vortragsthema von Professor Markus Gabriel. Mit klassischer Philosophie und den Methoden der Logik führte er die angehenden Ingenieure und Technikjournalisten auf ungewohntes Terrain. Der Philosoph argumentierte mit Beispielen aus Populärkultur und Naturwissenschaft und stellte so seine These verständlich dar. // von Marco Führer

Dass es Berge, Elementarteilchen und selbst Romanfiguren gibt, daran zweifelt Markus Gabriel, Professor für Philosophie der Neuzeit und Erkenntnistheorie der Universität Bonn, nicht. Aber einen aus naturwissenschaftlicher Sicht unbestreitbaren Fakt, die Existenz der Welt, stellt er in Frage. Die Begründung für seine provokante These beginnt er mit der Frage nach dem Begriff ‚Existenz‘. Wie kann Existenz definiert werden?

‚Sinnfelder‘ sind die Voraussetzung für Existenz

„Existieren heißt: In einem von unendlich vielen Bereichen vorzukommen“, sagt Gabriel. Um zu existieren, müsse die Welt in einem Bereich vorkommen – sie kann also nicht das allumfassende Ganze sein. Stattdessen existieren unzählige sich überlappende Bereiche, die Gabriel’Sinnfelder‘ nennt. Diese vergleicht der Philosoph mit einem Fliegenauge. Je nachdem durch welches Einzelauge der Betrachter blickt, sieht er ein anderes Sinnfeld. In einem existieren Zahlen, in einem anderen Staaten oder Figuren aus Stephen Kings Büchern. Zwar erscheinen manche Dinge nicht wirklich, wie die Romanfiguren, hinsichtlich der Existenz sind sie aber alle gleichwertig. „Je nach dem, wonach Sie suchen, sehen Sie unterschiedliche Dinge.“ Gabriel erklärte dies am Beispiel dreier Würfel: In einem Sinnfeld nehme der Betrachter die Würfel wahr, in einem anderen sind dort keine Würfel zu sehen, sondern eine unbestimmt große Anzahl von Elementarteilchen.

Interview mit Prof. Markus Gabriel

Die Welt kann nicht in der Welt vorkommen

Mit der Existenz der Dinge haben sich die Menschen bereits in der Antike befasst. Laut Aristoteles können Dinge nur existieren, wenn sie in der Welt vorkommen. Die Welt muss also in sich selbst vorkommen, um zu existieren. Hierbei entsteht allerdings eine endlose Schleife von Welten. Gabriel grenzt sich von Aristoteles ab, indem er sich für die Ontologie, die Lehre vom Sein, und gegen die Metaphysik ausspricht. Die Metaphysik, die sich mit dem absoluten Ganzen beschäftigt, sei „ein sinnloses Unterfangen. Metaphysik geht nicht.“

Realismus und Pluralismus lassen sich kombinieren

Seine These stützt Gabriel auf die zwei ontologischen Teildisziplinen Realismus und Pluralismus. „Wenn Sie die beiden kombinieren, dann können Sie erstaunliche Dinge sagen.“ In der Philosophie bedeutet Realismus, dass es eine vom Bewusstsein unabhängige Wirklichkeit gibt. Unter Pluralismus verstehen Philosophen, dass es mehrere Wirklichkeiten gibt. Gabriel bezieht sich hierbei auf den Philosophen und Mathematiker Gottlob Frege, der auch Pluralist gewesen sei. Frege zufolge würden die Dinge wirklich oder wahr sein, zu denen etwas ausgesagt werden könne. Eine solche Aussage könnte beispielsweise „Das ist lecker“ sein. Problem sei hier aber, dass Dinge nicht existieren würden, wenn es keine Begriffe gäbe. Gabriel hat an dieser Stelle Freges Aussage im Realismus neu interpretiert. Demnach gebe es viele Wirklichkeiten, die erst noch entdeckt oder sprachlich beschrieben werden müssten.

Die Frage nach dem Ganzen bleibt unbeantwortet

Die Welt gibt es also nicht – nur eine Vielfalt von Sinnfeldern. Diese müssen weder sprachlich beschrieben noch dem Menschen bekannt sein, auch können Sinnfelder in anderen Sinnfeldern existieren. Das unterscheidet sie von der Welt – als allumfassendes Ganzes kann diese nicht in sich selbst vorkommen. Das allumfassende Ganze werde der Mensch ohnehin nicht finden, „auch wenn er das Universum untersucht“, sagt Gabriel. Dass es das Universum gibt, möchte der Philosoph aber nicht bestreiten.


Weiterführende Links zum Vortrag

Interview mit Prof. Dr. Markus Gabriel

Markus Gabriel beschreibt den Gedankenprozess des „Neuen Realismus“ in sogenannten Sinnfeldern. Seiner Meinung nach existieren nicht nur Einhörner, sondern auch andere, übernatürliche Wesen.

Buchrezension

Diplompsychologie Steve Ayan rezensiert positiv über das philosophische Buch „Warum es die Welt nicht gibt“ von Markus Gabriel. Den „Neuen Realismus“ beschreibt Ayan als erfrischend mutigen und diskussionswürdigen Entwurf, da Gabriels gedankliche Ausführungen dazu einladen über die Welt nachzudenken.

Informationen zu Prof. Dr. Markus Gabriel

Philosophieprofessor Markus Gabriel hat an der Universität in Bonn den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und für Philosophie der Neuzeit und Gegenwart inne. 

Philosophie vs. Naturwissenschaften

In einem amüsanten Gespräch zu einem Mittagessen gehen die beiden Autoren Markus Gabriel und Stefan Klein der Frage zu Grunde, wie gegensätzlich Philosophie und Naturwissenschaft wirklich sind.

Gunnar Sohn über Prof. Gabriel

Wirtschaftspublizist Gunnar Sohn schreibt über den „Neuen Realismus“, welchen Markus Gabriel in seinem Buch „Warum es die Welt nicht gibt“ diskutiert.


Marco Führer // Bild: Ceren Sancakli, Farhad Baker // Videointerview: Michael Brygala, Nadym Almandwy // O-Töne: Felix Brück // Links: Chris Heinen

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