Ob in Japan, Thailand, auf Haiti oder den Philippinen: Naturkatastrophen finden überall statt. Einige entwickeln sich durch Technikversagen dramatisch – bei anderen hilft Technik den betroffen Menschen. Dr. Jörg Szarzynski von der Universität der Vereinten Nationen in Bonn UNU sprach über die Chancen von Big Data im Katastrophenmanagement. // Von Jennifer Winter
Technik birgt Risiken, aber auch Chancen: Das war die Botschaft des Vortrags „Technology in Disasters or Technological Disasters?“ von Jörg Szarzinski. Mit Frühwarnsystemen befasste sich der promovierte Geologe beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR und bei den Vereinten Nationen, bevor er die Verantwortung für die Ausbildungsprogramme an der UNU übernahm. Die moderne Technik, da ist er überzeugt, hilft nicht nur bei Großprojekten, sondern sie ermöglicht es auch einzelnen Internetusern, im Katastrophenfall zu helfen.
Technik verändert die Welt – und den Menschen
Die Auswirkungen moderner Technik sind nicht zu übersehen. Als Beispiel zeigte Szarzynski ein Foto von Dubai aus dem All: Hier ist die künstlich angelegte Palmeninsel deutlich zu sehen. „Moderne Technologien beeinflussen aber auch den Menschen“, gab Szarzynski zu bedenken. Die „Generation Daumen“, die ständig mit dem Smartphone im Netz unterwegs sei und Neuigkeiten verbreite, sei Teil des Informationsgeschehens. Social Networks könnten helfen, im Katastrophenfall wichtige Informationen zu übermitteln. Mittlerweile gebe es viele Beispiel dafür, wie „Digital Humanitarians“ für Hilfe sorgten.
Dr. Jörg Szarzynski von der United Nations University in Bonn (UNU) sprach über die Chancen von Big Data im Katastrophenmanagement.
Digital Humanitarians als zivile Helfer in der Not
Der Begriff der „Digital Humanitarians“ steht für Internetuser, die im Katastrophenfall über ihre Netzwerke Informationen für Helfer verbreiten. Geprägt wurde dieser Begriff laut Szarzynski durch den Geologen Patrick Meier, der bei dem Erdbeben in Haiti im Jahr 2010 geologische Daten in eine Landkarte übertrug und somit die Hilfsorganisationen unterstützte. Mittlerweile gibt es viele Beispiele, wie im Katastrophenfall Soziale Medien zur Information beitragen. Ein Beispiel für Grassroot-Mapping stellte Lena Siedentopp, Studentin des Masterclass-Programms der UNU vor. Sie hatte als Praktikantin für Geographische Informationssysteme in Ostjerusalem Informationen in die Open Street Map der Wiki-Weltkarte eingegeben. „Wir wollten etwas gegen die weißen Flecken auf der Karte von Ost-Jerusalem tun“, sagte sie. Die fehlenden Informationen würden dazu führen, dass diese Stadtteile vom Tourismus und den damit verbundenen Einkommensquellen abgeschnitten seien.
Satellitenbilder sollen vor Tsunamis warnen
Präventive Informationen werden vor allem durch Erdbeobachtung gewonnen. Aus dem Orbit werden per Satellit Bilder von der Erde aufgenommen. Satellitenbilder aus dem Orbit, die beispielsweise den Aufenthaltsort der Bevölkerung bei Tag und Nacht zeigten, seien von großer Bedeutung, sagte Szarzynski. Je nachdem, wo der Katastrophenfall stattfinde, müssten unterschiedliche Szenarien für die Evakuierung getroffen werden. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Technologien für eine frühzeitige Tsunami-Warnung. Natürlich seien Satellitenbilder auch für das Katastrophenmanagement unerlässlich: Bilder vor und nach dem Tsunami lieferten wertvolle Informationen für die Hilfsmaßnahmen. Dass sich auch Deutsche Post DHL im Katastrophenfall engagiert, erfuhren die Studierenden von Ivonne Michel, ebenfalls Teilnehmerin am Masterclass-Programm der UNU. Sie absolviert zurzeit ein Berufspraktikum beim Bonner Logistik-Konzern.
Master of Disaster
Einen Katastrophenforscher stellt man sich anders vor: Charmant lächelnd und mit voller Freude begrüßt Dr. Jörg Szarzynski sein Publikum. Der Diplom-Geograph hat beim DLR die Entwicklung eines Tsunami-Frühwarnsystems koordiniert und später war er Experte bei UN-Spider, dem Katastrophenmanagement der Vereinten Nationen. Als er Bilder von Naturkatastrophen zeigt, sieht man ihm seine tiefe Betroffenheit an. Er unterstreicht, wie wichtig die Erstellung von Karten für Frühwarnsysteme sei. Seiner Meinung nach trägt aber auch die „Generation Daumen“ – damit meint er insbesondere junge Smartphone-Besitzer – zum Katastrophenschutz bei. Heute koordiniert Szarzynski die Ausbildungsprogramme an der Universität der Vereinten Nationen in Bonn. // Von Marina Wenninga
Links und Erläuterungen zum Vortrag von Dr. Jörg Szarzynski
Video: „An introduction to the United Nations University“
Zur Einführung zeigte Dr. Jörg Szarzynski ein Video, das die Arbeit der United Nations University (UNU) sehr anschaulich in animierter Cartoon-Form verdeutlicht. Im Zentrum des Videos stehen Inhalte wie die Gefahr durch Elektronikschrott und die Wichtigkeit des Themenfelds „Menschliche Sicherheit“. Der Youtube-Kanal „UNU Channel“ zeigt weiterhin viele Experteninterviews und erklärende Videos zur Arbeit im Katastrophenschutz.
Disaster Risk Management (UN-SPIDER)
Die Webseite von UN-SPIDER (United Nations Platform for Space-based Information for Disaster Management and Emergency Response) gibt unter dem Reiter „Risks and Disasters“ eine Definition von „Disaster Risk Management“ sowie zu weiteren Punkten wie „Hazard“ (Gefahr) oder „Vulnerability“ (Verletzlichkeit). Dr. Jörg Szarzynski arbeitete als Senior Expert für UN-SPIDER.
Coping study on technology for disaster reduction (UNISDR)
Die Studie „Technology for Disaster Reduction“ wurde vom Sekretariat der International Decade for Natural Disaster Reduction (IDNDR) in Auftrag gegeben und kann unter dem Link heruntergeladen werden. Sie entstand im Rahmen des IDNDR Forums mit dem Titel „Partnerships for a Safer World in the 21st Century“ und behandelt die Schlüsselrolle von Technologien in verschiedenen Bereichen des Katastrophenmanagements.
Der World Risk Index zeigt eine Liste von Ländern, die vor Naturkatastrophen bedroht sind. Die United Nations University for Environment and Human Security (UNU-EHS) errechnet die Gefahren für die Länder der Welt jedes Jahr neu. Wichtig ist hierbei, dass Länder, die gut auf Katastrophen vorbereitet sind, weniger existenziell von diesen bedroht werden.
Artikel aus dem Guardian: „World heading for catastrophe over natural disasters, risk expert warns“
In dem Artikel von Sam Jones im Guardian (24.04.2016) geht es um die Unterfinanzierung von Katastrophenvorsorge. Er schreibt, dass die Klimaveränderung zu mehr Dürren und Überflutungen führen und humanitäre Katastrophen auslösen wird, allerdings sei die Gefahrenprävention finanziell nicht genügend abgesichert. Jones kritisiert, dass stattdessen (zu viel) Geld ausgegeben wird, wenn die Katastrophe eingetreten ist.
Porträt: Marina Wenninga // Linkliste: Grit Petersohn // Fotos: Hannah Weigelt // Video: Saskia Tafuna