Die Pandemie hat alle unerwartet getroffen. Hätte man etwas besser machen können? Für Professor da Veiga steht fest: Bei einem solch unbekannten Ereignis muss man auf Sicht fahren. Problematisch sei vielmehr die Polarisierung und die Politisierung. Mit mehr Besinnung könne man bessere Lösungen finden. // von Marle Thormählen

Marcelo da Veiga, Professor für Philosophie und Gesellschaft an der Alanus Hochschule, analysiert in seinem Vortrag die Auswirkungen der Pandemie auf die Menschen und deren Umgang mit den Folgen. In Zeiten der Einschränkung hätten sich der Cyberspace und der mentale Raum der Reflexion und Meditation als Entfaltungsräume angeboten, um Tätigkeitspotenziale zu entfalten und zu nutzen. Professor da Veiga: „Aus meiner Sicht, war dies nicht nur eine Krise, sondern eine Gelegenheit, gesellschaftliche Vorgänge neu zu bewerten und Entfaltungsräume neu zu erkunden.“

Unsicherheit führt zur Überforderung

Ausgangspunkt von da Veigas Betrachtungen ist das Goethe-Zitat „Tätig zu sein, ist des Menschen erste Bestimmung.“ Die Einschränkungen der Pandemie führten zu einem Rückstau des Tätigseins auf verschiedenen Ebenen. Da Vega sieht die erste Einschränkung in der Schwierigkeit der Urteilssicherheit, die man im Alltag normalerweise hat: „Mit den meisten Situationen kennen wir uns aus. In diesem Fall war die Sachlage nicht klar.“ Die vielen unterschiedlichen Meinungen – auch von Medizinern – habe zu einer Überforderung geführt. Als Beispiele erwähnt da Veiga die Diskussion um das Tragen der Masken oder den Sinn des Testens. Verharmlosung und Überreaktion seien die Folge gewesen.

 

Corona wird politisiert

Den Cyberspace ist eine virtuelle Parallelwelt. Quelle: Pexels

Daneben kam es zur Politisierung des medizinischen Sachverhaltes. Gepusht durch Medien entstanden Meinungsparteien: die angeblich Aufgeklärten, die andere pauschal als Covidioten bezeichneten, und die, die in der Pandemie nur eine Inszenierung von „mächtigen Strippenziehern“ sehen wollten. „Diese bizarre Politisierung hat meines Erachtens zu einer großen Gefährdung folgender Werte geführt: Vermeidung von Vorurteilen und freier, sachlicher Diskurs“, so da Veiga.
Einschränkungen der physischen Bewegungsfreiheit bis hin zur Sperrstunde stellen zwar offensichtliche Eingriffe in die Grundrecht dar, sind aber zumindest klar zu verstehen. Schnell entwickelten sich zwei Lager: Team Vorsicht und Team Leichtsinn. „Dass wir alle in einem Team spielen und es nur gemeinsam gelingt, die Pandemie zu bewältigen, wurde ebenso ignoriert, wie der Gedanke, dass beide Seiten teilweise richtig liegen und man vielleicht bessere Lösungen findet, wenn man miteinander spricht und nicht gegeneinander.“

 

Entfaltungsraum Cyberspace

Den Cyberspace beschreibt da Veiga als eine virtuelle Parallelwelt, die aus Abbildungen und Simulationen des physischen Raums sowie aus einer Fülle von nicht sichtbaren Daten besteht. Der Cyberspace schaffe Interaktions- und Erlebniswelten, die es nur in ihm geben kann. „Als Erlebnisraum, der grenzenlose Interaktion verspricht und ermöglicht, war er in der Pandemie für viele der Ausweg“, so da Veiga. Weil es sich im Cyberspace um simulierte Anwesenheiten handelt, können Aktionsmöglichkeiten unabhängig von Raum und Zeit erweitert werden. Dies ermögliche kommunikative Formate, die räumlich distanzierte Menschen in einem virtuellen Raum vereinigt, ihr aber zugleich die Tiefe und Unmittelbarkeit nimmt. Da Veiga sieht den Cyberspace als Ergänzung, aber nicht als Ersatz. Die pandemiebedingte Übernutzung habe gezeigt, wie wertvoll der direkte Kontakt sein kann. Es gibt Bereiche, wo digitale Interaktion ausreicht, der Kulturbereich und die zwischenmenschlichen Begegnungen gehören jedoch nur bedingt dazu.

Entfaltungsraum Meditativer Raum

Während der Pandemie hatten Studierende das Gefühl, in einen digitalen Sog zu geraten. Quelle: Pexels

Der meditative Raum ist für da Veiga eine Chance, sich aus der Erstarrung und Beschränkung zu lösen. Er ist die Dimension der Innerlichkeit, eine Form des Erlebens, die sich einstellt, wenn man auf äußere Eindrücke verzichtet und über Erlebtes nachdenkt und reflektiert. Der Sinn liegt in der Entspannung, dem Zur-Ruhe-Kommen und dem Sammeln von Kraft und Energie. „In unser nicht selten von Hektik und Sachzwängen getriebenen Zeit“, so da Vega, „dient sie der Erkenntnisgewinnung und der inneren Haltung.“ Die Erkenntnis, um die es dabei geht, unterscheidet sich von der heutigen wissenschaftlichen Praxis, die Tatsachen und kausale Beziehungen aufdeckt, um die Natur zu begreifen und anschließend zu benutzen und zu beherrschen. Das Ziel der mystischen Erkenntnis sei die Entdeckung der geistigen Einheit und Vereinigung des Wahren im Bewusstsein. Da Vega: „Meditation drängt sich nicht auf, sie beruht auf innerer Entscheidung.“

Mehr Cyberspace als Meditation

Die Befragung der Studierenden ergibt, dass über 70 Prozent während der Pandemie das Gefühl gehabt haben, ab und zu oder sehr oft in einen digitalen Sog zu geraten. Nur 21 Prozent hatten dieses Gefühl selten, acht Prozent nie. Besinnung, Reflexion und Meditation konnten indes nur 29 Prozent häufiger als vor der Pandemie nutzen, 43 Prozent gaben an, sich weder vor noch nach der Pandemie bewusst Zeit dafür zu nehmen. Über die Hälfte der Studierenden ist der Meinung, dass man Meditation lernen und üben müsse. Nach dem Einfluss der Pandemie auf die Einstellung zum Leben befragt, geben 60 Prozent an, dass sich die Einstellung in einigen Bereichen geändert habe. Bei sieben Prozent habe sich die Einstellung grundlegend verändert, bei 33 Prozent überhaupt nicht.

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Die gesamte Vorlesung gibt es hier zu sehen:

 

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