Was bedeutet CO2-Neutralität und was erwartet uns da? Der Umweltpsychologe Professor Andreas Ernst ist überzeugt, dass die Technik es allein nicht richten wird. Jeder Einzelne muss sein Leben für eine nachhaltige Zukunft verändern, nur dann ist der Klimawandel zu bremsen. Der Lohn könnte mehr Gleichheit und Glück sein. // von Johanna Schröder

Prof. Dr. Andreas Ernst leitet den Vortrag ein. Foto: Henri Magnus Roitsch

CO2-Neutralität bedeutet, dass freigesetztes CO2 der Atmosphäre zeitgleich wieder entzogen wird, so dass es nicht zur Erwärmung beiträgt und den Klimawandel beschleunigt. Das ist das Ziel der internationalen Klimapolitik, aber Ernst ist skeptisch: „CO2-Neutralität wird erst weit in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erreicht werden,“ sagte er und fügte hinzu: „es ist wie ein Kredit, den Sie überziehen und zurückzahlen müssen.“

 

 

Lebensstil und Ökonomie müssen nachhaltig werden

Technik allein ist laut Ernst keine Lösung, auch die Energiewende nicht. „Energiewende ist gleich Technikwende. Es ist vor allem notwendig, unsere Lebens-weise zu ändern!“ Er beschrieb das Prinzip der Suffizienz als energiesparendes Konsumverhalten in allen Sektoren, ein nachhaltiger Lebensstil mit bewusstem Verzicht. Das entspreche einer Ökonomie, die statt zu wachsen nachhaltig werden müsse. Also weg vom Überfluss, hin zum Minimalismus. „Wir benötigen eine regionale Ökonomie mit lokalen Kreisläufen, sodass wir keine direkten oder indirekten CO2-Emissionen in die globale Wirtschaftskette einspeisen. Wenn wir Lösungen im Großformat anstreben, werden wir den Überblick verlieren,“ warnte Ernst.

Rebound-Effekt heizt den Konsum an

Laut Ernst verfolge das Wirtschaftswachstum einen Kurs, der die Erde herabwirtschaften wird. Es würde dazu führen, dass die natürlichen Ressourcen auf Kosten künftiger Generationen aufgebraucht würden, wie es sich bereits heute am Beispiel der Biodiversität zeige. Das Streben nach immer mehr Effizienz führe nicht zu weniger Ressourcenverbrauch. Ernst erklärte am Beispiel der Glühbirne den sogenannten Rebound-Effekt: Obwohl LED-Beleuchtung viel weniger Strom benötigt als Glühbirnen, wurde durch die Umstellung nicht nennenswert Strom eingespart. Das liege daran, dass heute viel mehr Leuchtmittel eingesetzt würden als früher, weil der Betrieb ja kaum etwas koste. Ernst unterstrich: „Je effizienter die Wirtschaft, desto größer der Rebound.“ Das gelte für versorgungstechnische Güter wie Strom, Nahrung, Wasser, aber auch die Verkehrsleistung steige und somit ebenfalls das CO2 in der Atmosphäre. Selbst der neue Wirtschaftszweig der E-Mobilität, sei davon betroffen. Denn während der Verkehrswende werde es einige Jahre parallel zu den Elektroautos auch Benziner, Dieselfahrzeuge und die erforderlichen Infrastrukturen geben.

Auch auf Fragen des Publikums ging Ernst ein. Foto: Sahra Kurscheid

Verhaltensänderung beginnt mit Erkenntnis

„Das Wirtschaftswachstum und der CO2-Auststoß gehen weiter,“ sagte der Umweltpsychologe und ergänzte, „aber wir könnten Ressourcen durch Suffizienz nachhaltiger nutzen.“ Doch hierzu müsse die Gesellschaft die soziale, zeitliche und räumliche Falle ihres Verhaltens erkennen. Die soziale Falle war schnell erklärt: Sie beruht auf dem Grundsatz: Nutzen für mich, Kosten für alle. Die zeitliche Falle entstehe dadurch, dass der durch den Konsum entstehende Nutzen für den Moment befriedigend sei, langfristig jedoch einen hohen, kollektiv zu zahlenden Preis koste. Die räumliche Falle entstehe dadurch, dass die Folgen unseres Konsum nicht bei uns, sondern in ärmere Ländern zutage treten würden. „Wer glaubt das Erdsystem wäre so widerstandsfähig wie vor 200 Jahren, der irrt,“ warnte Ernst. Industrieländer hätten aufgrund ihrer geographischen Lage günstigere Umweltbedingungen als andere Länder. Dies führe dazu, dass schlechter gestellte Länder die Konsequenzen unseres Wohlstands ausbaden müssten.

Die Politik ist in der Pflicht

Mehrere Studierende debattierten mit dem Umweltpsychologen. Foto: Henri Magnus Roitsch

„Der Mensch reagiert erst, wenn etwas passiert ist und das können wir uns nicht leisten!“, sagte Ernst. Um ein Umdenken anzuregen, muss seiner Meinung nach die Politik aktiv werden. Deren Aufgabe sei es jedoch, die Wünsche der Wähler umzusetzen. Wenn die Verbraucher ihr Konsumverhalten überdenken und umweltfreundlicher gestalten würden, passe sich die Politik eventuell an, so Ernst. „Darüber hinaus sollten die Menschen über die Medien für das Thema Suffizienz und die Unabdingbarkeit des eigenverantwortlichen Handelns sensibilisiert werden. Mediale Themen sind jedoch häufig anderer Natur“, merkte er kritisch an.

Glücklich leben ist das Ziel

Auch wenn der Weg zu CO2-Neutralität nach Ansicht von Ernst an Verzicht gekoppelt ist, bedeute dies nicht zwangsläufig, dass das Wohlbefinden eingeschränkt würde. „Studien in zahlreichen Ländern zeigen, dass Gesundheit und Familie für unser Glück am wichtigsten sind “, erklärte er. Es läge in unserem eigenem Ermessen, das Glück durch einen nachhaltigen Lebenswandel zu sichern. Guter Konsum sei durch Selbstversorgung und Eigenproduktion zu erreichen, ist Ernst überzeugt. Wir müssten unser Konsumverhalten entschleunigen, soziale Bezüge und den persönlichen Kontakt wiederherstellen. Ein Pkw-Ersatz sei notwendig, es sollte weniger Fleisch gegessen und weniger Wohnfläche verbraucht werden.

Nachfolgend einige Meinungen der Studierenden zu dem Vortrag:

 

Weiterführende Links zum Thema:

https://www.umweltbundesamt.de/themen/klimaneutral-leben
Das Umweltbundesamt ist eine Zentrale Umweltbehörde in Deutschland. Dort lassen sich zu vielen verschiedenen Themen Tipps und Empfehlungen für den Verbraucher finden. Auch ein Artikel zum klimaneutralen Leben hält Tipps bereit und liefert einen Ausblick für die Zukunft.

https://klimaneutral.berlin/vier-fuers-klima-wie-alles-begann/
Vier fürs Klima, ein Projekt einer Familie, die es sich als Ziel gesetzt hatte ein Jahr lang Umweltbewusster zu leben, um ihren persönlichen Klima-Fußabdruck zu verbessern.

http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/wie-eine-familie-versucht-ein-jahr-klimaneutral-zu-leben-15464390.html
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat ein Interview mit den Kindern der „Vier fürs Klima“ Familie geführt. Die Kinder geben einen Einblick über ihre Erfahrungen während des Projektes und erklären, was sie geändert haben und was ihre Empfehlungen für ein klimaneutrales Leben sind.

https://www.welt.de/print/die_welt/article175791682/Das-wahrscheinlich-suesseste-Aushaengeschild-Berlins.html
Die Welt berichtet über den Eismacher Olaf Höhn, welcher sich zu seiner Aufgabe gemacht etwas für die Umwelt zu tun. Nach seiner ersten Eisfabrik, die als CO2-neutral bezeichnet werden darf, möchte er nun auch eine zweite Fabrik betreiben. Diese soll komplett CO2-frei arbeiten.

http://www.uni-kassel.de/einrichtungen/cesr
Center for Environmental Systems Research (CESR), ist eine Einrichtung der Universität Kassel und Professor Andreas Ernst ist dort Geschäftsführender Direktor. Diese Seite bietet einen Überblick von Forschungsprojekten und Publikationen des CESR.

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